Inwieweit wir die Natur als Subjekt erkennen können, liegt an unserem Blick.
Dr. phil. Anne Simone Krüger
Die leuchtenden Farben der großformatigen Fotografien von Stephanie Baden ziehen den
Blick magisch an und verwehren dem Auge im selben Zuge den Eintritt ins Bild. Ein Vorhang
aus farbigem Licht scheint sich zwischen uns als Betrachter*innen und das Motiv geschoben
zu haben. Was hat es mit diesen wie übermalt wirkenden Bildern auf sich? Und in welcher
Beziehung stehen die menschenleeren Landschaften zu den kleinformatigen historischen
Schwarz-weiß-Fotografien, in welchen der Mensch dafür umso mehr in den Mittelpunkt
rückt? Mit ihrer Ausstellung “Sehen von Gewicht” nimmt sich Stephanie Baden des Blickes,
genauer: unseres Blickes auf die Landschaft an, indem sie ihn umlenkt, teilweise ablenkt und
damit schließlich zielgerichtet tradierte Perspektiven fragwürdig erscheinen lässt.
Die schwarz-weißen gefundenen Fotografien aus den 1920er Jahren bilden den Anfang des
Narration-Bogens, der die Ausstellung umspannt. Sie entstammen einem historischen
Fotoalbum, dass die Künstlerin vor rund 25 Jahren auf einem Flohmarkt im Wendland fand.
Weder die Personen noch die Landschaften, in denen sie sich in Szene setzen, sind zu
identifizieren. Deutlich wird jedoch, im Gegensatz dazu, der Blick auf die Natur. Sie fungiert
als Beiwerk, rückt in den Hintergrund, wird von den Protagonisten als Kulisse von
Selbstinszenierung und Freizeitgestaltung gesehen. Nicht als Kunstwerke intendiert sind
diese Fotos Zeugnisse unserer Beziehung zur Natur und werfen die Frage auf, inwieweit sich
unser Sein in der Welt in den letzten rund 100 Jahren verändert hat. Denn nicht erst mit der
Ausrufung des Anthropozäns als der ersten Epoche, in welcher der Mensch derart massiv in
die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde eingreift, dass
die Auswirkungen noch in mindestens 100.000 Jahren zu spüren sein werden (1),
ist unser Blick auf die Natur ein oft äußerst einseitiger.
Gleichzeitig knüpft die Künstlerin mit ihren Foto-Arbeiten an ein Sujet an, dass die Kunst
spätestens seit dem ersten bekannten Landschaftsgemälde, das Albrecht Altdorfer im Jahr
1522 fertigte, beschäftigt. Seither spiegelt das Genre den jeweiligen zeithistorischen Blick auf
die Natur und überdies deren Veränderungen. Bereits in der Romantik, welche der Natur
sublimen Charakter zusprach, sind die Hügelkuppen eines Caspar David Friedrich (1774–
1840) gerodet und die Technik hat Einzug gehalten – auch wenn Friedrich sich hütet sie in
seinen Gemälden wiederzugeben. Anders als William Turner, der Eisenbahnen und ähnliche
Neuerungen thematisiert. Seit der Romantik findet Landschaft als Sujet in immer neuen
Bildfindungen und Medien Ausdruck.
Stephanie Baden begegnet der Landschaft im Medium der Fotografie, nähert sich ihr also auf Abstand mit der Kameralinse als Filter des Blickes. Menschenleer wie sie sind verweisen ihre Motive im selben Zuge immer auf die menschliche Anwesenheit. Allein der Betrachter*innen-Standpunkt ist ein durch und durch zeitgenössischer. Die Künstlerin fotografiert konsequent aus dem Seitenfenster ihres Autos heraus. Das ist wesentlicher Teil ihres Konzeptes. Denn sehen wir Landschaft nicht am häufigsten aus genau dieser Perspektive? Und machen uns dabei selten bewusst, dass diese Landschaft Teil unserer Kultur, eine domestizierte Kulturlandschaft ist, die über die Jahrhunderte von unseren Ideen und Bedürfnissen geformt wurde.
Malerische Landschaften im wahrsten Sinne des Wortes präsentiert Stephanie Baden in neuem Licht. An die Bildfindungen der klassischen Landschaftsmalerei anknüpfend liegt der Unterschied zu diesen darin, dass sie nicht die Landschaft malt, sondern vor der Landschaft malt. Bildträger ist dabei die Autoscheibe, durch deren abstrakte Farbgestaltung hindurch die Fotos entstehen. Die Farbe auf dem Glas des Fensters eröffnet dabei einen Bildraum vor dem Raum des Landschaftsbildes, je nach Blickwinkel der Künstlerin bzw. der Kamera verschieben sich diese beiden Räume gegeneinander. Wann ist der Moment um abzudrücken? Die Entscheidung ist jeweils subjektiv und zeigt doch, wie sehr dem Einzelbild eine fein auskalibrierte Komposition zugrunde liegt.
Die farbigen Kompositionen, deren Tönung das Gezeigte auf gewisse Weise verfremdet, lenken den Blick dabei, paradoxerweise, umso mehr auf das Bild: sie setzen Akzente und appellieren an uns als Betrachter*innen, das scheinbar alltägliche Motiv frei von vorgefassten Meinungen zu betrachten. Statt übermalter Fotos zeigt die Künstlerin mit ihrer Methode Fotos durch Malerei, die Farbe schreibt sich als wahrhaftiger Aspekt ins fotografische Landschaftsbild ein. Denn immer noch erscheinen uns Fotografien per se als wahr – selbst wenn wir wissen, dass sie manipuliert werden können. Digitale Veränderungen jedoch nimmt Stephanie Baden nicht vor.
Inwieweit wir die Natur als Subjekt erkennen können, liegt an unserem Blick. Denn bereits John Constable (1776–1837), ein Vertreter der romantischen Malerei in England, stellte fest, dass ›Die Kunst, die Natur zu sehen‹ ›[…] fast ebenso gelernt sein [müsse], wie die Kunst ägyptische Hieroglyphen zu lesen. (2) Stephanie Badens Bilder ziehen das Auge an und laden dazu ein, diese Kunst des Sehens der Natur zu vertiefen.
Dr. phil. Anne Simone Kiesiel
1 https://www.br.de/themen/wissen/anthropozaen-erdzeitalter-mensch-geologie-100.html
2 Ernst H. Gombrich, Kunst und Illusion. Zur Psychologie der bildlichen Darstellung, 2. Aufl. Stuttgart/Zürich 1986. S. 20.

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